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Baden inmitten des grün-roten Tränenmeers von Magdeburg

Es ist eine andere Art von Siegeseuphorie nach dem Heimsieg des SC Magdeburg gegen den HBW Balingen-Weilstätten. Ein Sieg, der mehr als nur zwei Punkte in der LIQUI MOLY Handballbundesliga bedeutet. Die GETEC Arena jubelt und ist mit Tränen überflutet. Nach 20 Jahren kommt die Meisterschale zurück nach Magdeburg.

Veröffentlicht am 20. Juli 2022 von

(Magdeburg.) Die Sekunden werden laut runtergezählt. So laut, dass bereits nach 60 Minuten Kampf und Leidenschaft einige Stimmen anfangen zu kratzen. Der klebrige, mit harzbezogene Ball wird durch die Halle geworfen. Im Hintergrund hallt der Countdown. Die sowieso schon angeheizte GETEC Arena, die Heimspiel-Hölle des SC Magdeburg, ist noch heißer als sie es Anfang Juni ist. Die Anspannung der Spieler auf dem Schlachtfeld, die Emotionen der Fans in grün-roten Trikots mit Unterschriften von Kämpfern wie Philipp Weber oder Marko Bezjak, fällt auf einen Schlag. Wie eine Explosion der Gefühle, die sich bei einigen seit 2001 angestaut hat. Die Mannschaft auf dem Feld verwandelt sich, unter jubelnder Menge, von dem Rückraumzauberer und dem Abwehrbollwerk zu Magdeburger Legenden. Die Gallier aus Balingen sitzen enttäuscht an den LED-Banden. Auch für sie kann es eine Vorentscheidung sein. In diesem Fall nicht im positiven Sinne. Denn ihr Blick geht nicht in Richtung der glänzenden Meisterschaftsschale, sondern rutscht in den Abgrund der ersten Liga an dem Ortseingangsschildes der zweiten Liga vorbei.

Egal wohin man seinen Blick schweifen lässt, man sieht Menschen, die bei etwas Historischem live dabei sind. Die Magdeburg-liebenden Fans sind eine Einheit mit den Spielern. Mit Bennet Wiegert auf der Bank. Ein Coach, der seit 2015 Unglaubliches mit dem Team, mit der Mannschaft geschafft hat. Er hat sie 2015 in der Saison übernommen, sie zum DHB-Pokal 2016, zum European-League Sieger 2021 und zu drei dritten Plätzen in Folge in der Liga geführt. „Bennos“ abgeklärte und pulsierende Fassade bröckelt stetig in jeder Sekunde, in der er das Bad aus Tränen und Bier in der grün-roten Menge genießt. Grün, wie die Hoffnung, die er seit fast sieben Jahren der Stadt an der Elbe gibt. Unter den wässrigen Augen der Handballsociety wie Nationaltrainer Alfred Gislason, der 2001 als Trainer mit dem SC Magdeburg Meister wurde. Der Chef des Teams ist sichtlich berührt. Brauchte aber, wie er bei Sky am Mikrofon sagt, einige Minuten, um die Situation zu realisieren.

Ich lasse meinen Blick weiter schweifen. Muss dabei selber aufpassen nicht von der kalten, metallen Abtrennung zum Spielfeld zu rutschen. Die Halle steht, die Halle bebt. Immer weiter. Auch Minuten nach dem Abpfiff der Schiedsrichter Zupanpvic und Thone. Inmitten des flackernden Scheinwerferlichts gehen sie in die Katakomben zurück. Keine Kritik von expressiven SCM Anhängern gibt es heute. Diese haben nur Augen, mit einigen nassen und glitzernden Tränen gefüllt, für ihre Helden. Kinder stehen auf den Schultern ihrer Eltern. Der Vater im grün-roten Robert Weber Trikot, der kleine Junge, der seine großen Augen auf den Videowürfel in der Halle richtet, im Auswärtstrikot von Philipp Weber. Der bunte Videowürfel, auf dem die Statistiken der beiden Mannschaften stehen, zeigt das Ergebnis an. 31:26. Frühzeitige Meisterschaft an der Elbe.

Fünf Tore von Philipp Weber und Fünf Tore von Matthias Musche. Zwei Magdeburger Kinder. Seit der Jugend kennen sie sich. Lieben den Verein. Kennen die Fans. „Sich Deutscher Meister zu nennen ist gewaltig“, so Philipp Weber gegenüber dem MDR. Musche wischt sich die Tränen weg, Weber stürmt freudestrahlend mit einem Lächeln, welches die dunklen Katakomben der GETEC Arena erleuchten kann, in Richtung seiner Familie. Alle im Trikot von ihrem Sohn, ihrem besten Freund. Nebenbei singt die Halle immer weiter. Das Magdeburger Kind-Lied wird angestimmt. Die Menge grölt es mit, kennt es in und auswendig. Es ist eine Tradition, dass es immer vor Anpfiff gespielt wird. Heute auch nach dem Pfiff in eine grün-rote Party.

Inzwischen riecht die Halle nicht mehr nach Arbeit, Konzentration und Anspannung, sondern nach Harz, Bier und Champagner. Die Crew von Sky läuft über das Feld, welches sich zur klebrigen Partymeile verwandelt. Sie will die ersten Stimmen der Spieler und möglichst jede Emotion für Handballfans außerhalb der Halle einfangen. Das gestaltet sich als schwierig, da die Helden bei ihren Fans stehen. Die Fans, die sie von beginn an durch die Spiele getragen haben. Mit nur zwei Niederlagen gegen den Norden von Deutschland stehen sie endgültig an der Spitze. Vor dem „Gute-Laune-Block“ mit den Fanclubs wird die Meisterschafts-Humba angestimmt. Die Tränen fließen bei den fast 6500 Menschen in der Halle weiterhin. Die Zeit vergeht wie im Flug, mein Trikot riecht nun ebenfalls nach alkoholischen Getränken und ist mit Harzflecken versehen. Liegt in diesem Fall jedoch an den festen Umarmungen, die man inmitten des Tränenmeers erhält.

Die Meistermannschaft geht in die Kabine. Aber nur für kurze Zeit. Die Akkus müssen aufgeladen werden und vor allem benötigen die Feierhelden einen Nachschub der Kaltgetränke. „We are the Champions“ wird angestimmt. Bis sie diesmal eine richtige Einheit mit den Zuschauern bilden. Schulter an Schulter, oder eher Kopf an Schulter, aufgrund der Größenunterschiede, tanzen und feiern Fans und Mannschaft zusammen. Wohl nur ein kleiner Vorgeschmack von Schweiß und Sekt auf die große Meisterschaftsfeier auf dem Rathausplatz am 12. Juni. Direkt nach dem Showdown gegen die Rhein-Neckar Löwen aus Mannheim. Bis dahin ist noch Zeit den Boden des Wohnzimmers des Deutschen Meisters auf Vordermann zu bringen. Alles klebt. Der Boden mit dem nicht getrockneten Harz und dem süßlichen Geruch der Getränke.

Zwischen der Partymeile und dem Erhalten der Meisterschale und der Medaillen steht jedoch noch das Spiel gegen den SC DHfK Leipzig an. Niemand scheint dafür jedoch zurzeit einen Kopf zu haben. Der Spielmacher mit der Nummer 20, Philipp Weber, droht bei Sky seinen Mitspielern mit „wenn heute jemand nach Hause geht, dann kriegt er es mit mir zu tun“. Eine der größten Feiern in Magdeburg ist eröffnet denn, „heute wird es eskalieren. Die Stadt wird heute abgefackelt“. Der Künstler, wie sie ihn in Leipzig genannt haben, gibt bei Sky kleine Einblicke in die Planung der nächsten Stunden. Die Gedanken aller Meisterschafts-Fans schweifen somit in Lichtgeschwindigkeit in Richtung der Freude und des Stolzes. Einige salzige Tränen kullern weiterhin aus dutzenden von Augen. Die GETEC Arena ist an diesem 32. Spieltag ein grün-rotes Tränenmeer.

 

Eine Reportage von Mia-Sophie Reckendorf

(BA-SJ-18-H-VZ). Modul: Journalistische Darstellungsformen


Schlagworte: Alfred Gislason, Bennet Wiegert, Deutscher Meister, Handball, Handballbundesliga, Philipp Weber, SC Magdeburg

Artikelinformationen


Datum: 20. Juli 2022
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