Fußball
Faszination Gästeblock – Ein Tag unter Auswärtsfahrern
Ob 8h per Zug nach Saarbrücken oder 6h im Bus nach Cottbus, stundenlange Fahrten nehmen Fans des Drittligisten Arminia Bielefeld auf sich, um ihr Team in der Ferne zu unterstützen. Und dass, obwohl sich der DSC seit Jahren in einer sportlichen Talfahrt befindet. Nach zwei Abstiegen in Folge konnte sich der Verein in der vergangenen Saison erst am vorletzten Spieltag vor dem existenzbedrohenden Abstieg in die Viertklassigkeit retten. Wie kommt es, dass viele Fans trotz dieser Umstände jedes zweite Wochenende im Gästeblock stehen? Was macht das Erlebnis „Auswärtsspiel“ so besonders? Um dieser Frage nachzugehen, begleite ich die Bielefelder Fans einen Tag lang zu ihrem Gastspiel in Essen.
(Bielefeld.) Es ist Punkt 11 Uhr, als ich in der schwülen Morgenluft den Parkplatz vor der Bielefelder Schüco Arena erreiche. Hier werde ich bereits von drei befreundeten Arminia Fans erwartet, die mich im Auto mit nach Essen nehmen. Umbauarbeiten am Bielefelder Hauptbahnhof führen zu vorübergehenden Einschränkungen im Zugverkehr. Viele Anhänger des DSC sehen sich daher dazu veranlasst, die vergleichsweise kurze Strecke von 120 Kilometern per PKW zu bewältigen. Bereits im Vorhinein wird mir von ihnen erklärt, dass dies eher die ungeliebte Alternative zur Fahrt mit dem Zug oder mit dem Bus sei. Diese gehöre einfach zum Erlebnis dazu. Ich lasse mich davon nicht entmutigen, schließlich bietet sich für mich im Auto eher die Gelegenheit, mit den Fans ins Gespräch zu kommen, als in einer überfüllten Regionalbahn.
Reiseziel Essen – Erinnerungen und Vorfreude
In ausgelassener Stimmung geht es dann los in Richtung Essen, schnell wird kaltes Bier aus einer mitgebrachten Kühlbox verteilt und aus der Musikanlage schallen diverse Fansongs aus den letzten Jahrzehnten. Munter werden Anekdoten von vergangenen Reisen ausgetauscht und über Fußball gefachsimpelt. Dabei geht es neben großen Erfolgen, wie dem legendären 6:0 gegen Braunschweig, vor allem um bittere Pleiten des DSC. Insbesondere die Niederlage gegen Wehen Wiesbaden in der Relegation scheint dabei noch in schmerzlicher Erinnerung zu sein. Schnell wird mir bewusst, dass der Bielefelder Anhang vor allem eins zu sein scheint: Leidgeprüft. Ich frage deshalb ein erstes Mal nach, warum man trotz der schlechten Teamleistungen die Strapazen einer Auswärtsfahrt auf sich nimmt. Gerade in den schweren Zeiten sei es wichtig, die Mannschaft zu unterstützen, wird mir gesagt. Außerdem sei jedes Auswärtsspiel etwas Einmaliges. Interessiert hake ich nach, was für sie das Besondere an Auswärtsreisen ist. „Auswärts ist einfach geiler“ bekomme ich als Antwort zu hören. Es sei einfach großartig, die Farben seiner Mannschaft auch außerhalb der eigenen Stadt zu präsentieren und sie im fremden Stadion zu besingen. Der Wettkampf mit den heimischen Fans sei außerdem ein Grund, der Auswärtsfahrten so besonders mache, „Wenn alle im Gästeblock mit voller Kraft die Jungs nach vorne singen und wir damit die Heimfans übertönen, dann ist das schon ein unvergleichliches Gefühl“. Es sei darüber hinaus ein Treuebeweis der Fans an den Verein. Die Antworten der Mitfahrenden lassen mich noch gespannter zurück, ich spüre wie ich dem Anpfiff innerlich entgegenfiebere.
Umso aufgeregter werde ich, als beim Blick aus dem Fenster die ersten Schornsteine und Fabriken in Sichtweite kommen und ein Autobahnschild unsere Ankunft im Ruhrgebiet ankündigt. Die Sonne entfaltet währenddessen zunehmend ihre volle Kraft. Im Auto wird es von Minute zu Minute stickiger, ein Geruch von Bier und Schweiß erfüllt die Luft. Ich spüre, wie mein Rücken an meinem Sitz festklebt und mir Schweißperlen über die Stirn rollen. Umso glücklicher bin ich, als wir kurz vor unserer Ausfahrt in einen Stau geraten und die Fenster öffnen können.
Ankunft und Weg zum Stadion – Zwischen Träumen und Realität
In Essen angekommen begleitet mein Blick die vielen, in rot und weiß gekleideten Essener Fans auf ihrem Weg zum Stadion. Kurz darauf erreichen auch meine Begleiter und ich unser Ziel, ein Industriegebiet in der Nähe zur Spielstätte. Hier sieht es wirklich so gar nicht nach Profifußball aus. „Vor zwei Jahren spielst du noch gegen Bayern und Dortmund und jetzt stehst du hier mitten im Nirgendwo rum“, höre ich jemandem am Auto neben uns sagen. Für viele der mitgereisten Fans ist es eine bittere Ankunft in der Realität. Vor 2 Jahren hatten die Ostwestfalen noch in der ersten Bundesliga gegen die ganz großen deutschen Mannschaften gespielt. Was folgte waren zwei Abstiege, fünf Trainerwechsel und zahlreiche Entlassungen auf der Führungsebene. Heute findet sich der Traditionsclub im tristen Drittligaalltag wieder, für die mitgereisten Fans ist dies aber kein Grund für schlechte Laune. Ich nehme noch einen letzten Schluck aus meiner Wasserflasche und mache mich gemeinsam mit einem kleinen Zug aus blauen Schals und Trikots auf den Weg in Richtung Stadion.
Nach ungefähr 15 Minuten Fußmarsch stehe ich direkt vor dem Gästeeingang der Austragungsstätte. Als ich mich in der Schlange für die Ticketkontrolle einreihe, reiten sechs Polizisten auf Pferden an mir vorbei. Die unermüdlich strahlende Sonne macht das Warten in der Schlange zu einer wahren Geduldsprobe. Ich vertreibe mir die Zeit, indem ich die Essener Ordner dabei beobachte, wie sie mithilfe von Bombenspürhunden akribisch das Fahnenmaterial der organisierten Fanszene auf verbotene pyrotechnische Gegenstände untersuchen. Kurz darauf lasse ich die, doch etwas sehr gründliche, Körperkontrolle eines Ordners über mich ergehen, dem die tropischen Temperaturen auch sichtlich zu schaffen machen. Beim Blick auf die überfüllten Verpflegungsstände hinter der Gästetribüne wird mir erstmals bewusst, wie viele Bielefelder den Weg nach Essen auf sich genommen haben. Laut Verein sollen insgesamt circa 2.500 Gästetickets verkauft worden sein. Obwohl der Geruch von frisch gebratenen Würstchen, der die Luft durchzieht, meinen Hunger weckt, ziehe ich es vor, die erneute Wartezeit in einer Schlange zu vermeiden und bahne mir meinen Weg zum Block-Eingang.
Erste Eindrücke und Vorbereitungen im Gästeblock
Nach einem kurzen Gang durch einen schmalen Korridor tut sich vor mir das Stadion auf, ein eindrucksvolles Bild. Ich drehe mich um und lasse meinen Blick durch den Block schweifen. Über dem Eingang ist ein großes schwarzes Banner gespannt, auf dem in großen Buchstaben „Avanti Arminia“ geschrieben steht. Ich gehe ein paar Stufen nach oben und reihe mich neben ein paar anderen Fans ein, der Geruch von frisch gemähtem Rasen liegt mir in der Nase. Nachdem ich für ein paar Minuten den Spielern beim Aufwärmen zusehe, fange ich an, das muntere Treiben im Block zu verfolgen. Einige Mitglieder der Bielefelder Ultras sind damit beschäftigt, die Blockfahnen ihrer Gruppierungen am Zaun des Gästeblocks anzubringen. Andere geben währenddessen kleine Fahnen in den Clubfarben aus, die quer über den Block verteilt werden. Kurz darauf werden die Fans mithilfe einer Trommel zum Klatschen animiert. Durch ein Megaphon wird dann der erste Fangesang angestimmt: „Hurra, Hurra Arminia ist da“ hallt es von den anderen Tribünen zurück. Ich bin beeindruckt. Kurz vor Anpfiff wird es dann zum ersten Mal richtig laut im Stadion, als zum Einlaufen der Mannschaften die Essener Vereinshymne gespielt wird. Der Gästeblock wird unterdessen durch die vielen kleinen Schwenkfahnen in ein schwarz-weiß-blaues Fahnenmeer verwandelt. Ein faszinierendes Bild.
Stimmungsvoller und ereignisarmer erster Durchgang
Pünktlich zum Anpfiff stimmen die zwei Vorsänger auf dem Zaun des Gästeblocks dann das nächste Lied an. Mit ohrenbetäubender Lautstärke stimmen alle mitgereisten Fans mit ein, ehe der Gesang schlagartig einem kollektiven Aufschrei weicht. Die Arminia hatte beinahe den ersten Angriff genutzt und konnte nur durch den Essener Schlussmann am Torerfolg gehindert werden. Für einen kurzen Moment hält der ganze Block inne, einige Fans haben die Arme über dem Kopf zusammengeschlagen, andere schauen begeistert zu ihrem Nebenmann. Dann brandet Jubel auf. Die Fans, von der Großchance scheinbar angestachelt, schreien ihrer Mannschaft zu und motivieren sich selbst, bevor sie anfangen, lauter als zuvor zu singen. Die vielen kleinen Fähnchen sind mittlerweile einigen großen Schwenkfahnen gewichen, auf denen alte Wappen des Vereins, Motive aus der Fanszene oder einfach nur die Vereinsfarben abgebildet sind. Für einen Moment beobachte ich die Fahnen dabei, wie sie im Wind flattern, der sich wie eine leichte Brise anfühlt. Ich genieße die kurze Erfrischung von der stickigen Hitze, die sich im Gästeblock staut. Neben der Sonne, die weiterhin ohne Erbarmen auf uns herabscheint, bereitet mir vor allem die Enge Schwierigkeiten. Schulter an Schulter stehe ich dicht gedrängt zwischen den anderen schwitzenden Fans. Die Hitze scheint dabei nicht nur mir, sondern auch den Spielern auf dem Rasen zuzusetzen. Das Spiel plätschert seit der turbulenten Anfangsphase nur noch dahin, die Akteure scheinen träge. Dann erfolgt der erlösende Halbzeitpfiff.
Ich dränge mich schnell durch die dichte Menschenmasse und suche mir meinen Weg zum Getränkestand. Die angenehme Kühle, die im Schatten hinter der Tribüne herrscht, fährt meinen Körper für einen Moment herunter. Am Getränkestand angekommen, gelingt es mir endlich, an die dringend notwendige Erfrischung zu gelangen. Das eiskalte Wasser stillt vorerst meinen Durst. Den Hunger, der sich in der ersten Halbzeit immer stärker bemerkbar gemacht hatte, bekämpfe ich mit einer Bratwurst. Frisch gestärkt mache ich mich bereit für die zweite Halbzeit, in der Hoffnung, dass auf dem Rasen nun mehr passiert.
Lautstarke und kraftzehrende zweite Halbzeit
Der zweite Durchgang schließt, sowohl auf den Rängen als auch auf dem Platz, nahtlos an den ersten an. Während die Spieler sich weiterhin schwertun, für nennenswerte Aktionen zu sorgen, brüllen die Fans im Gästeblock ihr Team unermüdlich nach vorne. Die meisten Anhänger um mich herum haben sich mittlerweile ihres Oberteils entledigt, auch mein T-Shirt klebt am ganzen Körper fest. Es ist daher keine Überwindung für mich als ich mich, auf Kommando des Vorsängers, bei meinen verschwitzen Nachbarn einhake. Zum Takt der Trommel fangen dann alle Fans gemeinsam an zu springen: „Ostwestfalen, Ostwestfalen hey, hey“ schmettert es aus dem Block heraus. Unter meinen Füßen vibriert der Boden. Als ich völlig außer Atem zur Haupttribüne sehe, fällt mein Blick auf die erstaunten Gesichter der Essener Fans, die vereinzelt das Handy gezückt haben und das Spektakel mitfilmen. Die Fankurve des RWE hingegen reagiert mit einem gellenden Pfeifkonzert, woraufhin die Bielefelder den Gegner mit Schmähgesängen belegen. Dass auf dem Spielfeld nichts passiert, ist mir inzwischen zunehmend egal. Ich kann nicht anders, als mich von der Stimmung mitreißen zu lassen.
Nach einer kurzen Verschnaufpause, wird ein Wechselgesang zwischen den Fans im oberen und denen im unteren Teil des Blocks koordiniert. Die Lautstärke ist atemberaubend. Es wirkt wie ein Wettkampf zwischen den eigenen Fans sich akustisch zu überbieten. Vor mir schauen sich die Fans teils ungläubig an, überwältigt von der Geräuschkulisse. Meine Kehle brennt inzwischen bei jedem Ton den ich herausbringe und auch das stundenlange Stehen macht mir zunehmend zu schaffen. Dann erfolgt, nach weiteren ereignislosen Minuten der Schlusspfiff. Für die Gästefans ist das aber kein Anlass um den Support einzustellen. Nahezu fanatisch feiern sie weiter ihre Mannschaft und sich selbst für ihren Auftritt. Die elf Arminen werden abschließend mit einem vierfachen „Bielefeld“ in die Kabine verabschiedet.
Der Rückweg und die Ruhe nach dem Sturm
Während die organisierte Fanszene damit beginnt, ihr Material zusammenzupacken und die Zaunfahnen einzusammeln, folge ich meinen drei Mitfahrern in Richtung Ausgang. Draußen angekommen merke ich erst, wie kaputt ich tatsächlich bin. Meine Kehle ist trocken, mir dröhnt der Schädel und meine Beine fühlen sich an wie Wackelpudding. Ich fühle mich so, als hätte ich selbst neunzig Minuten auf dem Platz gestanden. Völlig erleichtert sacke ich nach den anstrengenden Metern zurück zum Parkplatz in den Beifahrersitz. Auf der Rückfahrt ist es still im Auto. Alle sind heiser und völlig fertig von der Reise. Auf der Rückbank wird über das Handy ruhig die Pressekonferenz verfolgt und die wenigen Highlights des Spiels analysiert. In Bielefeld angekommen, verabschiede ich mich von meinen Mitstreitern und schleppe mich die letzten Meter nach Hause. Als ich absolut erschöpft auf mein Bett falle, lasse ich noch einmal alles Revue passieren. Es ist ein harter Schnitt vom Getose im Gästeblock zur völligen Stille in meinem Zimmer: Diese geballte Energie, die Leidenschaft der Fans und das Gefühl von Zusammenhalt. Mir wird klar, warum Auswärtsfahrten einen so besonderen Reiz haben. Es geht um viel mehr als nur das Spiel an sich. Es geht um das gemeinsame Erleben mit anderen Fans, darum Abwechslung vom Alltag zu finden, sein Team immer und überall zu unterstützen. Und viel mehr noch: Es geht um das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein!
Ein Beitrag von Jasper Buschmann (BA-MJ-66-VZ), Modul: Journalistische Darstellungsformen
Quellen:
https://www.kicker.de/essen-gegen-bielefeld-2024-liga-4941134/analyse
https://www.instagram.com/p/C_DVibwK3ry/?igsh=MW9hOGx0MG1xbjA1Zw==
https://www.instagram.com/p/C_GdlMIIZK9/?igsh=MTl2M2UzbnZnbmNtZw==
Schlagworte: 3. Liga, Arminia Bielefeld, Auswärtsfahrt, Auswärtsfans, Auswärtsspiel, Fußball, Gästeblock, Rot-Weiss Essen, Stimmung