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Fußball in einer anderen Welt

Woran denkst du, wenn es um Fußball in Südafrika geht? Voodoo, Vuvuzelas und die Fußball-Weltmeisterschaft 2010? Ich konnte sechs Monate lang einen Verein in der Nähe von Kapstadt begleiten und kann sagen: Fußball ist hier noch deutlich mehr!

Veröffentlicht am 19. Mai 2020 von

Während sich meine Kommilitonen im Oktober für ihr Praktikum aufmachten nach München, Berlin oder Hamburg, stieg ich in den Flieger und reiste über 9.700 Kilometer in den Süden. Genauer gesagt nach Kapstadt. Im Süden der Metropole spielt Hout Bay United FC (kurz HBUFC), ein in jeder Hinsicht besonderer Verein, bei dem ich während den nächsten sechs Monaten mein Praktikum absolvieren werde. Der Club aus dem Fischerort Hout Bay ist nicht nur ein Fußballverein, der aktuell in der dritten südafrikanischen Liga spielt, sondern gleichzeitig noch eine eingetragene Wohltätigkeitsorganisation. Ziel des HBUFC ist es, die Menschen in Hout Bay zusammenzubringen und ihnen Stolz und Hoffnung mitzugeben. Dabei müssen sie gegen die Besonderheiten der Region ankämpfen. Hout Bay ist wie ein Mikrokosmos Südafrikas. Die Menschen leben noch immer nach Hautfarbe getrennt in sogenannten Communitys. Arm und Reich wohnen zwar nur wenige Meter voneinander entfernt, aus der Luft ist der Unterschied dennoch deutlich erkennbar. Auf der einen Seite des Fischerortes liegt das Township Imizamo Yethu. Hier lebt die „Black Community“. Auf der anderen Seite Hangberg mit seinen Fischerhütten. Hier lebt vor Allem die „Coloured Community“. Dazwischen liegt das Valley, in der die „White Community“ wohnt. Auch ich persönlich bekomme schnell einen Eindruck, wie stark diese Grenzen sind. „Wenn du morgens mit dem Fahrrad zur Arbeit fährst, fahr‘ lieber links herum. Rechts musst du am Township vorbei. Da kann es, wenn du dich hier nicht auskennst schon mal unangenehm werden“, verrät mir meine Gastmutter. Gut zu wissen denke ich mir… Diese Grenzen verschwinden, sobald ich im Verein ankomme: Britischer Gründer, Trainer und CEO aus der „Black Community“ in Hout Bay, Torwart-Trainer aus der „Coloured Community“. Dann noch ein Fitness-Trainer aus Italien, ein Zeugwart aus dem Senegal und neben mir, einem Deutschen, noch ein weiterer Praktikant aus den Vereinigten Staaten. Mehr Offenheit für verschiedene Kulturen geht nicht. „Our goal ist to bring the communities of Hout Bay together“, sagt der CEO Dali Fekenisi. Dazu nutzt der HBUFC den Fußball. Es gibt kaum etwas, das die Menschen hier mehr verbindet. Hier in Hout Bay ist der Fußball nicht einfach nur ein Sport. Der Fußball steht hier für eine Chance auf ein besseres Leben.

 

Ein Fußballspiel in Hout Bay

Die besondere Rolle des Fußballs hier in Hout Bay wird für mich erst so richtig deutlich beim ersten Spiel der neuen Saison. Wir, der HBUFC, haben ein Heimspiel gegen die Morning Stars. Die Vorbereitung ist sehr professionell. Alle Spieler bekommen vor dem Spiel eine Mahlzeit, sowie Obst und Getränke für das Spiel. Nach einem Teammeeting mit Videoanalyse des letzten Trainings geht es dann zum Platz. Ben, der auch beim HBUFC sein Praktikum macht, nimmt mit mir zusammen auf dem Mannschaftsbus Platz. Wir müssen das Spiel filmen und die Chancenverwertung analysieren und haben auf dem Bus dafür die beste Sicht. Dann gesellt sich auch noch Sam, der Linksaußen, der heute aufgrund einer Verletzung leider nicht spielen kann, zu uns. Er kennt den Gegner gut und versichert uns, dass das heute kein normales Spiel werden würde und uns in Erinnerung bleibt. Ich bin gespannt. Obwohl die Trainer der Teams schon die Hütchen für das Aufwärmen verteilen, laufen überall Kinder und Jugendliche über den Platz. Während in Deutschland schon lange ein Ordner eingegriffen hätte, ist es hier völlig normal. Die wenigsten haben einen ordentlichen Fußball. Es wird entweder ein Ball genutzt, der so alt ist, dass er jeden Moment zu Staub zerfallen könnte oder man kickt mit Flaschen, Schuhe und Ähnlichem. Dann kommen die Teams singend und tanzend raus. Die wenigen Fans die schon da sind, bilden ebenfalls singend und tanzend ein Spalier. Solche Bilder kannte ich von der Fußball-Weltmeisterschaft 2010, wenn man das persönlich erlebt, ist es noch deutlich eindrucksvoller. Je näher es auf den Anpfiff zugeht, desto mehr Fans kommen zum Spielfeld – natürlich alle singend und tanzend und mit lauter Musik. Normalerweise sind es um die 2.000 Besucher bei Heimspielen, doch heute am ersten Spieltag sind es bestimmt noch 1.000 mehr. Jeden zweiten Freitag ist die Kriminalitätsrate in Hout Bay auffallend niedrig, da jeder der kann am Spielfeldrand steht, weiß Fekenisi zu berichten und beruft sich dabei auf die Polizei. Die Straßen in Hout Bay sind jetzt fast menschenleer.

 

Fortschritt vs. Voodoo

Es ist ein buntes Treiben auf und neben dem Feld und auf einmal scheinen die Grenzen vergessen zu sein. Mitglieder aller Communitys stehen nebeneinander, grüßen sich freundlich und freuen sich darauf, dass es losgeht. Die Mannschaften stehen schon auf dem Platz, die Seitenwahl wurde absolviert, da versammeln sich die Morning Stars noch einmal in einem Halbkreis und ein Mann betritt den Platz, geschmückt mit Federn und kleinen Beuteln. Er greift in einen seiner Beutel, wirft ein paar Knochen auf das Feld und spricht zu den Spielern. Dann geht er, als wäre nichts gewesen. Ben und ich schauen uns verwirrt an. “Voodoo“, klärt Sam uns auf. „They do it always“. Während ich vorhin noch überrascht war, wie professionell sich beim HBUFC auf das Spiel vorbereitet wurde, bin ich jetzt davon überrascht, dass unser Gegner versucht mit magischen Mitteln zu gewinnen – und alle akzeptieren es! Aber Voodoo gehört hier für einige Menschen einfach dazu. Dann geht das Spiel los. 90 Minuten lang geht das Spiel gefühlt nur in Richtung des Tores der Morning Stars. Zwei Mal muss das Spiel unterbrochen werden, weil Fans nach Schiedsrichterentscheidungen entrüstet auf den Platz laufen. Über 90 Minuten hinweg wird am Spielfeldrand gesungen, getanzt und seine Mannschaft angefeuert. Am Ende geht das Spiel 1:1 Unentschieden aus. Da war mehr drin für uns. Es war heute wie verhext denke ich und muss sofort wieder an das Voodoo-Ritual vor dem Anpfiff denken. Könnte es vielleicht daran gelegen haben… Nein auf keinen Fall! An sowas kann und will ich nicht glauben! Beeindruckt hat mich vor allem die Fankultur, die ich auch später noch während meines gesamten Aufenthaltes in Hout Bay zu spüren bekomme. Selbst bei Auswärtsspielen legen die Leute hier zusammen, um sich einen Bus zu mieten. Obwohl sie im Township nur vom Nötigsten leben – die Spiele ihres Vereins wollen sie auf keinen Fall verpassen. Der Fußball wird hier gelebt wie eine Religion.

 

Fußballer als Vorbilder

Wer aber denkt, dass beim HBUFC der sportliche Erfolg über allem steht, der irrt. Jeden Mittwoch steht der „Community-Service“ auf dem Programm. Die Spieler haben einen Tag trainingsfrei, müssen aber den Leuten in Hout Bay etwas zurückgeben. Hier werden jüngere Spieler bei den Hausaufgaben unterstützt, Müll vom Strand oder Spielfeld gesammelt oder dem HBAPD geholfen. Letzteres ist eine Einrichtung für Behinderte, die sonst im Leben nicht genug Unterstützung bekommen. Die Fußballer des ersten Teams spielen mit ihnen Spiele und verbringen die Zeit mit ihnen. Das hilft den Menschen aus dem Alltag ein wenig auszubrechen. Ich bin von der Energie beeindruckt. Die sonst „coolen“ Spieler blühen hier richtig auf und kommen aus sich heraus. Bei der Begrüßung der Leute vom HBAPD fallen sich viele in die Arme, so als würden sie nach Jahren einen alten Freund wiedersehen – und das jede Woche. „Genau dafür ist der „Community Service“ gedacht“, erzählt mir Jeremy Elson später. Er hilft den Spielern das Sportliche richtig einzuordnen und bringt die Menschen in Hout Bay zusammen. Diese Einstellung ist es, die mich an diesem Verein am Meisten beeindrucken.

 

Gemeinschaft lernt sich von „klein auf“

Ich bin inzwischen umgezogen und wohne jetzt beim Leiter der Jugendakademie, Alec Pooley. Ales ist einer der wenigen Weißen, die in Hangberg leben. „Es hat lange gedauert, bis ich hier akzeptiert wurde“, sagt Alec, „doch die Menschen haben erkannt, dass ich dafür sorge, dass ihre Kinder von der Straße kommen. Ich gebe ihnen Hoffnung und zeige ihnen auf dem Platz eine Perspektive. Dafür werde ich respektiert.“ Große Worte, große Ziele. Wie genau er das meint erfahre ich eines Morgens, als er mich zur Arbeit fährt. Mitten auf der Straße hält Alec an, steigt aus dem Auto aus und geht zu zwei Jungs rüber, die am Straßenrand barfuß mit einem alten, platten Ball spielen. Aus dem Auto höre ich Alec mit ihnen reden. Er fragt wie alt sie sind und ob sie Lust haben richtig Fußball zu spielen. Wenn sie morgen beim Training vorbeikommen, kriegen sie von Alec Schuhe und einen richtigen Fußball. Bei der Aussicht auf Schuhe und einen Ball glänzen die Augen der Jungs. Beide strahlen sie und versichern Pooley, dass sie morgen da sein werden. Es sind diese kleinen Dinge, die die Menschen hier in Hout Bay zusammenbringen. Das ist auch etwas, was auf dem Feld schon früh gelehrt wird. Auf dem Platz sind alle gleich. „Das bringe ich den Jungs von klein auf bei“, erklärt mir Alec. Und das bestätigt sich beim Training. Gruppenbildung nach Hautfarbe – davon ist hier keine Spur. Denn sobald es um Fußball in Hout Bay geht, verschwinden die Grenzen der Gesellschaft.

 

Den HBUFC als Vorbild nehmen

Meine Zeit hier hat mich schwer beeindruckt. Während man in Europa noch mit aufwendigen Kampagnen gegen Rassismus und für soziale Gerechtigkeit kämpfen muss, wird dies in einem kleinen Ort südlich von Kapstadt bereits gelebt. Und das in einem Land, in dem Abgrenzung zum Alltag gehört. Der Hout Bay United FC kann als kleiner südafrikanischer Verein vielen großen, europäischen Vereinen als Vorbild dienen. Wer hätte das gedacht?!

 

Eine Reportage von Matteo Faust (Sportjournalismus & Sportmarketing SJ-BA-12-H-VZ, Modul: Sportlehrredaktion I)

 

Links:

https://www.instagram.com/tv/B_9gyTAJILS/?igshid=uqwc3wlicj0l

http://www.hbapd.co.za/newsletter

Hout Bay United, more than a football club

https://africa.espn.com/football/liverpool-engliverpool/story/4066514/meet-jurgen-klopps-other-clubhout-bay-unitedsome-14,000km-from-liverpool

http://www.hbufc.co.za/about-us.html

 

 


Schlagworte: Community, Fankultur, Fußball, International, sozial, Südafrika, Voodoo, Vorbild

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Datum: 19. Mai 2020
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