Fußball
„Emotionen ohne Ende“ – Die Champions-League Reportage
Dortmund (vw.) Champions-League. Finale in Wembley. Der Traum lebt. Diese drei Sätze sind seit dem einzigartigen Finaleinzug am 07.05. elementarer Bestandteil meiner Gedanken. Jeder Tag, der verstrichen ist, hat sich endlos angefühlt, dafür waren die Vorfreude und das Kribbeln in meinen Fingerspitzen zu intensiv. Plötzlich ist es soweit – Heute ist der Tag, an dem wir, Borussia Dortmund, dem Giganten Real Madrid in Wembley gegenüberstehen. Unser letzter Titelgewinn ist bereits 27 Jahre her, nun ist der große Coup wieder zum Greifen nah.
Mein Wecker klingelt – Ich falle lediglich aus meinem Bett und bin sofort hellwach. Es fühlt sich an, als hätte ich nicht geschlafen, doch trotzdem bin ich topfit. Bevor ich mir mein Frühstück mache, spiele ich meine Spieltags-Playlist ab, die bei mir schon fester Bestandteil eines Spieltags geworden ist. Als der Song „Borussia“ von Bruno Knust erklingt, stellen sich meine Armhaare auf und ein breites Grinsen erstreckt sich über mein Gesicht.
Gegen 12 Uhr wird es Zeit für mich loszufahren. Ich hole meine beiden Freunde Marcel und Stefan ab, mit Ihnen werde ich heute in der Westfalenhalle zu Dortmund das Spiel des Jahres, mit vielen anderen Fans, erleben. Stefan begrüßt mich mit einem nassen Handschlag, schwitzige Hände hat aber wohl nicht nur er. Schon auf der Autobahn tummelt sich der Verkehr, aber desto näher wir die Fußballhauptstadt erreichen, umso mehr schwarz-gelbe Autos können wir finden, aus denen laute Musik erklingt und von Menschen gefahren werden, die gute Laune haben. Da ist es wieder. Das Familiengefühl. Du fühlst dich hier einfach wie zuhause, mit jedem Fußballbegeisterten Borussen hat man einen direkten Draht: Jeden Fan, der uns auf dem Weg in die Innenstadt über den Weg läuft, klatschen wir freudig ab und reden mit dem ein oder anderen über den anstehenden Spieltag.
Dortmund gegen Madrid – Es wird Zeit Geschichte zu schreiben
28 Grad und Sonnenschein. Das waren die heutigen Voraussetzungen. Es wird überall viel gelacht und gesungen, das Bier wird in Mengen über die Stehtische geschoben. Wir haben uns nun auf dem Marktplatz zusammengefunden, an dem wir mit Musik und einem kühlen Getränk die tolle Atmosphäre genießen. Ich merke, wie ich anfange, jede Minute auf mein Smartphone zu schauen, um auf die Uhrzeit zu überprüfen – Die Aufregung steigt bei uns allen unaufhörlich. Die Pommes schmecken traumhaft, es ist die beste Schale, die ich jemals gegessen habe – Es schmeckt nach frischen Gewürzen, dem heutigen Triumph und dem Henkelpott.
„You´ll never walk alone“ schallt aus den Marktplatzboxen und ich merke, wie mein Trommelfell mit der Lautstärke und dem Bass kämpft. Aber heute war alles egal – Wir singen gefühlt lauter als die montierten Boxen und liegen uns in den Armen, ganz egal, ob wir uns kannten oder nicht, wir gehören zusammen.
„Es wird Zeit“, sagt Stefan und tippt mir auf die Schulter. Zeit, um den Weg zur Westfalenhalle anzutreten. Es ist Zeit, um den Champions-League Titel nach Dortmund zu holen. Es ist sich gar nicht auszudenken, was hier in der Stadt los wäre, wenn wir das heute ziehen. Wir laufen an der Westfalenhalle 1 vorbei, hier findet am Abend eine Oper, namens „Schwanensee“ statt.
Für uns unerklärlich, wie man sich heute für eine Oper entscheiden kann – Der Kontrast zwischen den beiden Besuchergruppen könnte nicht größer sein, wir laufen mit wehenden Schalen, Biergeruch & lauten Gesängen an einer feinen Gesellschaft in Schlips und Kragen vorbei – Aber lustig ist es allemal!
In der Westfalenhalle angekommen, empfängt uns eine Dortmunder Chor-Sängerin auf der Bühne, sie singt „Mein Stern Borussia“ mit dem schon anwesenden Publikum, eine Stimmung mit herzerwärmender Atmosphäre entfacht. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, als ich daran denke, dass das Lied vor 9 Monaten im Stadion ebenfalls live von ihr gesungen wurde, damals anlässlich des 114. Geburtstages des Clubs – Es war genauso schön wie im vergangenen Jahr… Oder sogar noch besser.
2013 und 2024 – Champions-League Finale in Wembley
Mats Hummels und Marco Reus sind die einzigen im Dortmunder Kader, die 2013 auch schon das verlorene Finale gegen den FC Bayern, ebenfalls in Wembley, bestritten haben. Nur heute muss das Spiel anders ausgehen, es muss eine Widergutmachung her. Vor allem deshalb, da beide momentan ihr letztes Jahr in Dortmund absolvieren, einen besseren Abschluss der schwarz-gelben Karriere gibt es wohl kaum. Wir stehen recht mittig, als das Spiel beginnt. Mein Puls hat sich irgendwo im 100-er Bereich
eingependelt und wird wahrscheinlich für die nächsten 90 Minuten da verweilen. Der Kopf und die Gedanken sind abgeschaltet, alle schauen ausschließlich auf die große Leinwand. Ein lautes Raunen geht durch die Halle, nachdem wir 3 Großchancen von Adeyemi, Füllkrug und Sabitzer knapp am Tor haben vorbeifliegen sehen. Hinter mir haut mir immer jemand nach einer vergebenen Chance auf die Schulter und peitschte das Team lautstark nach vorne – und wir alle mit, um ehrlich zu sein.
0:0 zur Halbzeit. Mein Papa hatte mir über WhatsApp viel Spaß in Dortmund gewünscht, ich und Marcel sprechen ihm irgendwie mit unserer nicht mehr vorhandenen Stimme eine Sprachnachricht zurück, in der wir uns bedanken. Ich muss mich darauf konzentrieren, dass mir mein Handy nicht aus meiner Hand geschlagen wird, da sich der Außenbereich für die Raucher sekündlich füllte und wir sehr unkomfortabel am Ausgang stehen. Da wir uns dem Geruch nicht aussetzen wollen, gehen wir schnell wieder an unsere Plätze, denn die 15-minütige Pause ist im Nu vorbei.
„Wäre doch gelacht, wenn wir das noch verlieren“, sagt hinter mir ein alter Fan, wir alle sind nach der überlegenen ersten Hälfte optimistisch gestimmt. In der zweiten Hälfte drückt Madrid aber wieder mehr und mit jeder weiteren Chance des Gegners stieg mein Puls immens. In der 74. Minute dann der Stimmungsdämpfer: 1:0 für Real – Das hat sich irgendwie abgezeichnet; Aber wieder mal fällt das Tor durch eine Standardsituation, genau das hatte Edin Terzic, unser Cheftrainer, vor dem Spiel angemerkt, dass gerade dann höchste Konzentration geboten ist. Bei uns kippt die Stimmung aber nur minimal, der Glaube lebt weiterhin.
Hoffnung bis zur letzten Minute in schwarz-gelb
Doch die Nummer 7 von Real Madrid besiegelte in der 83. Minute das Aus dieser Partie. 2:0 durch einen Fehler unserer Abwehrkette, die Leihgabe vom FC Chelsea, Ian Maatsen, spielte den Ball unglücklich auf den ehemaligen Borussen Jude Bellingham, der das Tor problemlos einleitete. Doch war es wirklich das Aus? In der 87. Minute läuft ein Konter über die linke Seite, Sabitzer schlenzt den Ball in den Strafraum und plötzlich: Kurzzeitige Stille in der Westfalenhalle – Meine Zeit und mein Gefühl blieb stehen, ehe wir den Ball ins Tor schreien: Großer Jubel bricht aus, ich falle in alle Arme die neben mir sind und kippe dabei fast um, ich kann mich gerade noch aufrecht halten. Füllkrug hatte ihn tatsächlich versenkt. Vermeintlich. Der Jubel war nicht von Nöten, es war Abseits. Für uns ist diese Entscheidung schlimmer als die beiden Tore von vorher, denn das wäre nochmal ein wahnsinniger Motivationsschub für die Mannschaft geworden.
Aus und vorbei. Der Traum ist geplatzt. 0:2 gegen den Fußballgiganten aus der spanischen Hauptstadt. Neben mir sind die Reaktionen auf den verpassten Titel äußerst unterschiedlich: Viele gehen einfach, einige brechen in Tränen aus und ein paar bleiben regungslos stehen. Ich gehe zu einem Jungen, der sehr traurig zu sein scheint und umarme ihn. „Wir kommen wieder zurück, mein lieber“, sage ich zu ihm und lasse ihn mit einem Lächeln wieder los. Meine Emotionen sind momentan gar nicht richtig einzuordnen, eine gewisse Leere kann ich zwar spüren, doch ich bin größtenteils einfach total stolz auf das Team.
Nach einer halben Stunde verlassen auch wir die Halle mit hängenden Köpfen und begeben uns Richtung Hotel – Die Straßen sind wie leergefegt, Glasflaschen und Pappbecher liegen an jedem Straßenrand. Schlafen werde ich wahrscheinlich sowieso nicht können, zu viele Gedanken schwirren in meinem Kopf umher.
Zurückblickend war es einer der schönsten Tage meines Lebens, nur der Tagesabschluss hätte besser sein können. Auch wenn wir das Endspiel verloren haben, liegt eine unfassbare europäische Saison hinter uns – Mit Borussia Dortmund ist zu rechnen, auch im kommenden Jahr. Der Glaube, die Liebe und die Leidenschaft zählen. Wie hatte ich eben nochmal zu dem Jungen gesagt? „Wir kommen wieder“… So sieht es aus.
„You´ll never walk alone“ – Eine Reportage zum diesjährigen Champions-League Finale zwischen dem BVB und Real Madrid, geschrieben von Vincent Wiedenstridt
Quellen:
Schlagworte: BVB, Finale, Fußball, Real Madrid, Reportage, UEFA Champions League, Wembley