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Warum Schweigen nicht immer Gold ist

Häufig wird die NFL als „Nachahmer-Liga“ bezeichnet. Hat ein Team Erfolg, versuchen andere die vermeintlichen Geheimnisse hinter dem Erfolg zu entschlüsseln und sofort zu kopieren. Das formte die Liga über Jahrzehnte zu dem, was sie heute ist. Innovative Spielzüge, Formationen oder Taktiken werden von anderen Teams übernommen, Assistenztrainer erfolgreicher Teams werden schnell zu heiß gehandelten Kandidaten für Teams im Umbruch. Diese Entwicklung führte dazu, dass heute eins der wichtigsten Talente von Mitarbeitern der NFL-Teams das Schweigen zu sein scheint. Wie es dazu kam und warum das problematisch ist.

Ein Kommentar von Laura Zeßin

Veröffentlicht am 29. September 2023 von

Ein Beispiel: Ende der 1990er Jahre führte Mike Shanahan die Denver Broncos als Cheftrainer zu zwei Superbowl-Titeln. Maßgeblich dafür war die so genannte West Coast Offense, mit der die San Francisco 49ers bereits seit Anfang der 1980er Jahre fünf Superbowl-Titel gewannen und die Shanahan von der Pazifikküste mitbrachte. Zehn Jahre später war diese Offense Standard in der NFL. Moderne Variationen sind bis heute der Goldstandard der Liga. Und damit nicht genug. 2015 stellten die Atlanta Falcons Shanahans Sohn Kyle als Offensiv-Koordinator ein und erreichten Dank historisch effizienten Offensive den Superbowl. Zwei Jahre später ernannte ihn San Francisco zum Cheftrainer und erreichten ebenfalls wenige Jahre später den Superbowl. Im gleichen Jahr verpflichteten die L.A. Rams Sean McVay, ehemals Assistenztrainer unter Kyle Shanahan, an. Schnell nannten sie ebenfalls eine rekordverdächtige Offensive ihr Eigen und der Erfolg kam: Die Rams erreichten zwei Mal den Superbowl, verloren beim ersten Mal, aber gewannen den zweiten. Und erst letztes Wochenende schafften es die Miami Dolphins 70 Punkte zu erzielen, angeführt vom ehemaligen Shanahan-Assistenten Mike McDaniel, als erstes Team seit 1966.

Konstanter Erfolg ist in der NFL so selten, dass es nicht verwunderlich ist, wenn Teams versuchen Erfolgsgeheimnisse so weit wie möglich unter Verschluss zu halten. Trainer, die nach einem Spiel zu Taktik und Strategie befragt werden, geben als Antwort selten mehr als eine Plattitüde. Die Gedanken, die hinter allen Entscheidungen stecken bleiben der Öffentlichkeit oftmals verborgen. Gehen Spielzüge schief, wird es Fans und Experten überlassen zu spekulieren, wer hauptverantwortlich war. Steht ein Spieler wegen Verhalten abseits des Platzes im Rampenlicht, geben Teams i.d.R. keinen Kommentar dazu ab. Einige Trainer haben es sich inzwischen angewöhnt, keinerlei Informationen Preis zu geben. 2014 antwortete der Trainer der New England Patriots nach einer deutlichen Niederlage auf absolut jede Frage einsilbig: „, dass der Fokus auf dem nächsten Gegner liege“. Anschließend gewannen sie zehn der folgenden elf Spiele und den Superbowl. So wurde die Redewendung „We’re on to Cincinnati“ in der NFL zum geflügelten Wort.

Grundsätzlich ist natürlich nichts Verwerfliches daran, Betriebsgeheimnisse und Interna für sich zu behalten. Es erschwert jedoch die Arbeit von Journalisten ungemein. Und es ist Symptom eines größeren Problems: Die NFL priorisiert Ergebnisse über allem. Die Teams sind einzig und allein auf sportlichen Erfolg aus, die Liga auf finanziellen Profit und dabei und dafür besteht kein Anreiz, offen oder ehrlich mit der Presse zu sein. Spekulative Beiträge generieren in der breiten Masse mehr Interesse als tiefgehende taktische Analysen.

Die NFL versucht sich als aufregendes Sportereignis zu vermarkten und kehrt dabei die problematischen Spieler genauso gerne unter den Teppich, wie das hohe Verletzungsrisiko, insbesondere das für Gehirnerschütterungen. Doch das Problem ist nicht das Verhältnis zwischen Teams und den Medien oder Fans, es ist das Verhältnis zwischen der Liga und den Menschen, die sie ausmachen. Zwar scheint es auf den ersten Blick so, als würden die Spieler und Trainer davon profitieren, ausschließlich an ihren Leistungen gemessen zu werden, wir reden hier schließlich über Leistungssport, dabei wird jedoch alles außerhalb des Sports verschleiert und unter den Teppich gekehrt.

Tyreek Hill, der einen maßgeblichen Anteil an Miamis 70-Punkte-Festival hatte, ist als einer der schnellsten Spieler der Liga bekannt und nicht als derjenige, der 2014 seine schwangere Freundin brutal verprügelte und 2019 wegen Verdachts auf Kindesmisshandlung vor Gericht stand, weil er seinem Sohn den Arm gebrochen hatte. Über Jalen Carter wird als neuer, junger Superstar der Liga gesprochen. Nicht als Teilnehmer an einem illegalen Straßenrennen, welches im Januar 2023 zwei Menschenleben forderte. Beide Spieler wurden von der Liga nicht disziplinarisch belangt, und weder Liga noch Teams äußerten sich zu den Vorfällen öffentlich. Diese Gleichgültigkeit ist jedoch keine Einbahnstraße – bietet ein Spieler sportlich keinen Mehrwert mehr, wird er oftmals links liegen gelassen. Und Menschlichkeit und Ethik spielen dann definitiv keine Rolle. Nachdem zum Beispiel Minnesotas Alexander Mattison ein schlechtes Spiel hatte, teilte er auf Twitter Screenshots mit klar rassistischen und Gewalt androhenden Nachrichten, die ihm geschickt wurden. Daraufhin gaben die NFL und die Vikings standardisierte Statements ab, dass für Rassismus im Sport kein Platz sei und verpflichteten wenige Tage später mit Cam Akers einen Ersatz für Mattison. Auch hier gibt es zahllose Beispiele. Im Falle von Mattison oder Akers mögen die Folgen nicht allzu gravierend gewesen sein, doch es gibt auch deutlichere Beispiele.

Zu Beginn der Saisonvorbereitung meldete sich Chandler Jones, Star der Las Vegas Raiders, auf Social Media zu Wort und kritisierte sein Team lautstark. Aus ihm nicht bekannten Gründen könne er nicht auf dem Trainingsgelände des Teams trainieren. Cheftrainer und Sportdirektor würden ihm nicht auf Anrufe oder Nachrichten antworten. Von Trainer Josh McDaniels, der sein Handwerk als Assistenztrainer in New England lernte, gab es keinen Kommentar. Anfang der Woche meldete sich Jones erneut auf Social Media und berichtete, dass er gegen seinen Willen in einem Krankenhaus behandelt wurde und man ihm Medikamente zwangsverabreicht hätte. Donnerstag beschuldigte er seinen Trainer, in den Suizid eines ehemaligen Teamkameraden verwickelt gewesen zu sein. Jones wurde am Freitag vom Las Vegas PD verhaftet, die genauen Umstände sind noch unklar. Niemand weiß, ob und wie viel es vielleicht geholfen hätte, wenn die NFL ein Mindestmaß an Transparenz von den Teams einfordern würde und die Situation dadurch von Journalisten mehr hätte thematisiert werden können. Schwer zu glauben ist jedoch, dass das Totschweigen der Thematik hilfreich war.

Die NFL trägt nicht die alleinige Verantwortung für Fälle wie diesen, doch auch Jones ist kein Einzelfall. Antonio Brown, Earl Thomas III und Josh Gordon sind nur einige weitere ehemalige Superstars, deren Karriere durch Probleme abseits des Platzes ein jähes Ende fand. Und es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die NFL und die Teams bereit sind, bleibende psychische Schäden ihrer Spieler in Kauf zu nehmen. Die NFL hat die Redewendung: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“ perfektioniert. Doch nicht immer ist das der richtige Weg.

 

https://www.tmz.com/2023/09/29/chandler-jones-arrested-las-vegas-raiders/?adid=social-tws

https://www.tmz.com/2023/09/05/chandler-jones-doesnt-want-to-play-for-las-vegas-raiders-bizarre-rant/

https://www.sportsillustrated.de/football/nfl/nfc-east/unfallflucht-40-millionen-dollar-klage-gegen-nfl-star-jalen-carter

https://pro-football-history.com/coach/368/mike-shanahan-bio

https://www.sportingnews.com/us/nfl/news/kyle-shanahan-coaching-tree-49ers-dad/b5vilpefpc2aq26p1aeepbgk

https://pro-football-history.com/coach/950/kyle-shanahan-bio

 


Schlagworte: Las Vegas Raiders, Miami Dolphins, New England Patriots, NFL, San Francisco 49ers, Schweigen, Strategie

Artikelinformationen


Datum: 29. September 2023
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