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It´s time to say goodbye – Der drittletzte Akt

Am 34.Spieltag empfängt der FC Rot Weiß Erfurt, Sonnenhof Großaspach, RWE hat die letzten drei Spiele verloren, ist abgeschlagen Tabellenletzter und steht bereits als erster Absteiger in die Regionalliga fest. Doch für Erfurt geht es längst nicht mehr um Punkte oder die eigene Ehre, sondern um die Erhaltung des Klubs. Der Verein ist heruntergewirtschaftet, führungslos und blickt in einen bodenlosen Abgrund.

Veröffentlicht am 02. Mai 2018 von

Es ist Samstagmorgen der 21.April. Das bedeutet: Es ist Fußballzeit in allen Teilen der Republik Deutschlands. Bereits zur Mittagsstunde steht die Sonne tief, Sie scheint mir direkt ins Gesicht. Selbst meine Sonnenbrille kann die Wucht der Sonnenstrahlen, die in mein Gesicht scheint, nur begrenzt erträglich machen. Vielleicht hätte ich damals doch zum Optiker gehen sollen und mir eine Brille mit gutem UV-Schutz anschaffen sollen. Aber Nein. Hauptsache sie sieht gut aus und ist billig dachte ich mir damals. Während im Radio Ice Ice Baby von Vanille Ice läuft und ich mich trotz Klimananlage in meinem eigenen Auto fühle wie ein Brathänchen auf dem Grill einer Imbissbude, werde ich nachdenklich.

Denn mich verschlägt es heute nicht nach München, Dortmund, Leipzig oder Hannover, sondern nach Erfurt in die dritte Liga. Der FC Rot Weiss empfängt die Sonnenhof Großaspach. 10km vor Erfurt erreiche ich meinen Siedepunkt, ich schwitze wie als ob ich gerade einen neuen Weltrekord beim Marathon gelaufen wäre. Zum einen liegt es an der für April ungewöhnlich hohen Hitze, man könnte denken es wäre bereits Badesaison, zum anderen liegt es an der Partie. Ich habe ein mulmiges Gefühl als meine Hand zum Blinker fährt und ich die Ausfahrt Erfurt-Gispersleben nehme. Mit jedem Meter dem ich dem Stadion Näherkomme wird die Stimme in meinem Kopf immer lauter und fragt sich Wie kann das passieren? Wie kann das passieren? Wie kann das passieren? Gemeint ist natürlich der FC Rot Weiss Erfurt. Thüringens ehemaliger Vorzeigefußballklub ist mittlerweile nur noch ein Schatten seiner selbst. Aufgrund einer Insolvenz steht der Verein schon seit Wochen als Absteiger fest. Schulden, Machtkämpfe, Führungschaos.

Nach einer 30-minütigen Autofahrt erreiche ich das Steigerwaldstadion. Ich parke dort wo ich immer parke, direkt gegenüber vom Stadion auf einem kleinen Parkplatz, wo platz für 15 Smarts oder 5 Hummer wäre. Bevor ich aus dem Auto aussteige wische ich mir noch kurz den Schweiß von der Stirn und blicke auf das Graffiti an der Wand vor meiner Windschutzscheibe was mir ein kurzes Schmunzeln entlockt. Viel hat sich, seit meinem Abgang damals, nicht verändert denke ich mir.

Ein kurzer Blick links, ein kurzer Blick rechts dann zwölf Schritte und ich stehe vor dem Stadiontor. Ich halte einen kurzen Moment inne, schließe die Augen und gehe 10 Meter nach links zur Tageskasse. „Ein Ticket, bitte“, sage ich locker und entspannt. Osttribüne, Block N, zentral, mit dem besten Blick aufs Spielfeld. Als ich die 24 Euro bezahle und die Frau an der Kasse mir das Ticket gibt sehe ich große Enttäuschung in ihren Augen. Die Mundwinkel sind nach unten gerichtet. Ich blicke in das Gesicht einer Frau die der Zerfall des Vereins sichtbar mitnimmt. In diesem Augenblick ist selbst mir nicht zu lachen zu mute. Ich nehme das Ticket, drehe mich um und gehe ins Stadion. Nach einem kurzen Abstecher zum Bratwurststand und dem obligatorischen Abtasten der Ordner dringe ich in das Stadion hervor und nehme Platz auf meinem relativ unbequemen Plastiksitz auf dem sogar ein alter Ketchupfleck eingebrannt ist. Die verbleibenden 10 Minuten verbringe ich spielend an meinem Smartphone und scrolle in den Twittertrends. Um 14.05 Uhr ertönt dann die schrillende Pfeife des Referees. Die Fans von der Nordtribüne sind sofort da und erwecken den Eindruck als wären 10.000 Fans im Stadion. Weit gefehlt. Für meinen Eindruck besteht das Stadion heute zu 95% aus leeren, rot-weiß gefärbten, Sitzschalen.

Mit der guten Stimmung ist es dann auch relativ schnell vorbei. Timo Röttger, 4.Minute. Das 1:0 für Großaspach. Die Fangesänge und die Klänge der Trommeln gehen in gellende Pfiffe über. „Nicht schon wieder!“, brüllt ein aufgebrachter, ich würde mal sagen RWE-Fan, drei Sitzreihen über mir. Nachvollziehbar. Rot Weiss ist mit 13 Punkten aus 34 Spielen abgeschlagen Tabellenletzter und blickt in eine ungewisse Zukunft. Denn es ist nicht nur das sportliche was allen Fans das Blut in den Adern gefrieren lässt, sondern die Gesamtsituation. Erfurt ist Pleite, 6.5 Millionen Euro Verbindlichkeiten belasten den Verein. Fast täglich kommen immer mehr Details ans Licht, die zeigen wie schlecht es dem Dino der dritten Liga wirklich geht. Neben 6.5 Millionen Euro Schulden, kommen zusätzlich 60.000 Euro Verbindlichkeiten gegenüber dem Catering-Service. Vor einigen Tagen musste der Verein die Büroräume seiner Geschäftsstelle räumen, weil RWE, ein Profiverein, seit vier Monaten die Miete von 4.000 Euro nicht mehr aufbringen konnte.

Das heutige Spiel ist ein Spiegelbild der Rot-Weißen Gesamtsituation. Eine Fahrt ins Bodenlose ohne Aussicht auf Besserung. Die drei Folgenden Treffer von Thermen, Böses und Fehr sind in dieser Saison zur Gewohnheit. 67 Gegentore nach 34 Spielen und einer Halbzeit. Erfurts Trainer Stefan Emmerling wischt sich nochmal kurz über seine Glatze und schlendert danach mit gesenkten Kopf und sichtlich frustriert als erster in die Katakomben, während die knapp 2000-3000 Fans ihrem Unmut, in Form von Pfiffen, Luft machen. Dabei kann Emmerling nichts für die Situation. Er ist der dritte Trainer in dieser Saison, hinzu kommen 2 weitere Präsidenten und ein gefeuerter Manager.

Die zweite Halbzeit ist dann wie eine Folter vor einem Millionenpublikum. RWE ist komplett chancenlos, überfordert. Kurz gesagt, nicht Drittligatauglich. Die Tore von Binakaj (54. Minute) und Baku (69. Minute) sind irgendwie nur noch Beiwerk. Selbst die Einwechslungen von Brückner, Rüdiger und Fleischhauer sind nur noch eine Randnotiz. Warum sich Rot Weiß in den letzten Spielen so gehen lässt bleibt ein Rätsel. Möglicherweise geben die Spieler das zurück was sie vom Verein bekommen, nämlich nichts. Seit Februar konnte den Spielern ihr Gehalt nicht mehr gezahlt werden, drei Spieler mussten sogar mit einem Amateurvertrag abgespeist werden. Die Stadionmiete wurde für die letzten sechs Heimspiele sogar von 16.500 Euro pro Spiel auf 2.500 Euro heruntergesetzt. Drei Mieten müssen sogar noch nachgezahlt werden.
Erfurt, seit der Gründung von Liga 3, 2008, immer dabei gewesen verliert 6:0. Es ist die vierte Pleite in Folge ohne ein eigenes Tor. Ich schüttle resignierend mit dem Kopf. Als Fan hat man sich schon irgendwie daran gewöhnt. Ich bleibe noch kurz und beobachte das Geschehen. Die Spieler gehen in die Kurve zu den Fans, erstarren und blicken ins Leere. Die Fans pfeifen diesmal nicht, sondern spenden ihrer Mannschaft aufmunternden Applaus. Für mich ist es dann Zeit zu gehen. Ich erhebe mich, klappe meinen Sitz nach oben, steige die Stufen hinunter und verlasse das Stadion ohne nochmal einen Blick zurückzuwerfen.

Auf meinem Heimweg lasse ich das Radio diesmal aus und versinke auf der Autobahn in meinen Gedanken. Wann ich das nächste Mal in das Steigerwaldstadion fahren werde weiß ich nicht. Sollte die Insolvenz wirklich durchgehen wird in Erfurt nächste Saison nicht einmal Regionalliga-Fußball gespielt. Dann ist der Verein tot. Elfte Liga unter neuen Namen. Ein Szenario welches selbst mich, als Anhänger des FC Carl Zeiss Jena, erzittern lässt.

 

Eine Reportage von Christian Rüdiger (BA-SJ-08-H-VZ)


Schlagworte: 3. Liga, Abstieg, Fußball, Rot-Weiss Erfurt

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Datum: 02. Mai 2018
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