Fußball
Kommunikativ, standhaft, extrovertiert!
(Osnabrück). Sonntagmorgen, 11 Uhr. Ca. 15 Grad und leichter Regenfall. Vor den Umkleidekabinen beglückt der Teambetreuer die wenigen Zuschauer mit Bratwurst und Pommes. Viel mehr Klischees kann ein Amateur-Spiel in der 3. Kreisklasse eigentlich nicht erfüllen. Eigentlich, denn ein Mann auf dem Feld passt auf den ersten Blick nicht ins Bild – der Schiedsrichter.
David Schabbing, 20 Jahre. Deutsche Mutter, ivorischer Vater. Es sind nicht nur seine Rastalocken, die auffallen – es ist vor allem seine abgeklärte Art gegen einen z.T. testosterongesteuerten Haufen voller Freizeitkicker. Durch meine nun schon 17 Jahre anhaltende Zeit im Amateurzirkus des Fußballs spreche ich aus Erfahrung. „Man darf keine dünne Haut haben, sonst macht man sich schnell angreifbar und läuft Gefahr, unbewusst parteiisch zu werden“, erzählte mir David bereits einige Tage zuvor. Darüber hinaus sei es wichtig nach einem Spiel abzuschalten, weil nicht jeder Spieler die Grenzen kenne und Entscheidungen auch nach Spielende diskutiert würden.
Podiumsdiskussion mit Bibiana Steinhaus brachte ihn zur „Schiedsrichterei“
Hektischer Beginn. Nach nicht mal zehn Minuten sind schon zwei Tore gefallen. Hinzu kommen viele „kleine“ Fouls. Der angehende Deutschlehrer (3. Semester) ist momentan einer von 75.000 Schiedsrichtern, die Jahr für Jahr hier zu Lande 1,5 Millionen Fußballspiele leiten. Wie David Schiedsrichter wurde? „Die „Schiedsrichterei“ hat mich schon in jungen Jahren gereizt und ich wollte natürlich auch ein bisschen Taschengeld verdienen“, lässt er mit einem Augenzwinkern verlauten. Konkret wurde es dann, als Bibiana Steinhaus zu einer Podiumsdiskussion in seiner ehemaligen Schule erschien. „Frau Steinhaus ist in ihrer Tätigkeit ein Vorbild für die Emanzipation der Frau in einer Männerdomäne und eine überaus kompetente Schiedsrichterin. Als Schiedsrichter sollte man nach Leistung und nicht nach seinem äußeren Erscheinungsbild bewertet werden.“ Im Februar 2015 begann der damals 15-jährige dann seine Schiedsrichterausbildung bei seinem Ex-Verein SV Hellern. Viereinhalb Jahre später kommt Schabbing auf über 100 Spiele in sämtlichen Jugend- und Herrenbereichen.
„Die aktuellen Entwicklungen sind besorgniserregend“
Die Begegnung beruhigt sich im Laufe der 1. Halbzeit. Aufflammende Scharmützel moderiert der junge Mann gekonnt weg. Das wachsende Gewaltpotenzial in heutigen Zeiten hält er allerdings für gefährlich: „Die Schiedsrichter dürfen keine Angst haben auf dem Fußballplatz – aber genau das haben einige, weil es Spieler gibt, die persönlich werden und Gewalt androhen. Die Zahlen geben ihm Recht: Rund 3000 Angriffe auf Schiedsrichter wurden in der Saison 2018/19 gezählt. Eine Steigerung von über 100 Angriffen – und das bei 50.000 Spielen weniger. Ein Vorfall in Duisburg im vergangenen Juni sorgte deutschlandweit für Aufsehen: Nachdem der 36-jährige Unparteiische einen Spieler kurz vor Spielende mit Rot vom Platz stellte, streckte ein anderer Akteur diesen mit 2 Schlägen auf den Hinterkopf zu Boden und trat anschließend auf ihn ein. Schabbings Statement im Wortlaut: „Die Spieler dürfen nicht vergessen, dass der Fußballplatz kein rechtsfreier Raum ist, sonst müssen immer mehr Spiele ohne Schiedsrichter auskommen – und das kann nicht im Sinne aller Beteiligten sein.“
„Ich bin mit den Jahren als Schiedsrichter enorm gereift“
Beginn der 2. Halbzeit. Es regnet nach wie vor. Der Boden wird immer rutschiger, dementsprechend häufen sich die härteren Fouls – auch wenn sie teilweise unabsichtlich sind, ein Foul ist es trotzdem. Das will nicht immer jeder verstehen. Gewalt an eigener Person ist David „Gott sei Dank“ noch nicht widerfahren. Beleidigungen gehören allerdings leider dazu. „Vor 5 Jahren hätte ich auf gewisse Äußerungen noch anders reagiert, heute höre ich oft einfach nicht mehr hin.“ Seine Worte sind bestimmt. Persönliche Beleidigungen werden einem Menschen – auch einem Schiedsrichter – aber womöglich immer auch an den eigenen Stolz gehen. Ich frage ihn, wie er seine Anfänge in der „Schiedsrichterei“ erlebt hat: „Es war zunächst ungewohnt, da ich ein Spiel vorher nur aus der Sicht des Spielers gesehen habe. Da er zur damaligen Zeit häufig seine eigene Altersklasse gepfiffen habe, wurde er mit seinen Fehlern des Öfteren in der Schule konfrontiert. Angenehme Situationen sehen anders aus, aber auch sowas hat ihn zu einem gestandenen Schiedsrichter reifen lassen.
„Ich kann jedem mal empfehlen, Schiedsrichter zu sein“
Das Spiel ist aus. Am Ende siegen die Gäste mit 3:1. Trotz der Vergabe mehrerer gelber Karten war es eine überaus fair geführte Begegnung. So überwiegt bei Schabbing nach wie vor der Spaß am Pfeifen. „Man lernt so viele neue Menschen und unterschiedliche Charaktere kennen. Dadurch wird man schrittweise selbstbewusster in seinem Auftreten“, schwärmt dieser von seinem Hobby. Am meisten Freude bereiten ihm dabei die jährlich ausgetragenen Schiedsrichterturniere, bei denen immer eine eingeschworene Gruppe aus dem Kreis anreist und das Wochenende, bei dem einen oder anderen Kaltgetränk, zusammen verbringt. Kleine Randnotiz: Mit einem gültigen Schiedsrichterausweis ist der Eintritt bei sämtlichen Bundesligaspielen kostenlos.
Menschen an der Pfeife werden händeringend gesucht!
Für viele Unparteiische ist ihr Hobby viel mehr als das. Dennoch geht die Zahl der Schiri-Anwärter stetig zurück – waren es im Jahr 2016 noch 8828 Damen und Herren, sind es ein Jahr darauf nur noch 7645. Dabei sind die Anforderungen, ein Schiedsrichter zu werden, nicht groß. Wer 14 Jahre alt ist, in einem Fußballverein angemeldet und mindestens 20 Spiele pro Jahr pfeifen kann, hat jene schon mal weitestgehend erfüllt. Darüber hinaus müssten, abhängig vom Landesverband, Weiterbildungsveranstaltungen an acht bis zwölf Tagen im Jahr besucht werden. Die Länge der Ausbildung entspricht 20-50 Unterrichtsstunden im Zeitraum von einer bis sechs Wochen. Viel ist das nicht! Absolventen dürfen sich über ein spielklassenabhängiges Taschengeld freuen und werden in der Regel vom Verein ausgestattet. Denn: Clubs, die eine bestimmte Anzahl an Schiedsrichtern nicht erfüllen, müssen eine hohe Geldstrafe zahlen.
Es sind Leute wie David Schabbing, die einen erheblichen Teil zur Erhaltung unserer Fußballkultur – wie wir sie kennen – leisten. Oder kann sich irgendwer ein Spiel mit 22 Akteuren, aber ohne Schiedsrichter vorstellen?! Nein. Die Würde des Menschen ist unantastbar – auch die des Schiedsrichters, auf und neben dem Feld. Denn seine Entscheidungsgewalt sorgt schlussendlich für die Emotionen, die wir an diesem Sport so lieben.
Eine Reportage von Jakob Buddenbohm (Sportjournalismus & Sportmarketing SJ-BA-12-H-VZ, Modul: Sportlehrredaktion II)
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